Am Mittwoch, dem 19. Juli 2023, meinem dritten Tag im Isha Yoga Center von Sadhguru, ist etwas geschehen, von dem ich euch gerne berichten möchte. An diesem Ort im Südwesten Indiens, in der Nähe der Stadt Coimbature inmitten des tropischen Regenwaldes, hat Sadhguru einen Ort erschaffen, zu dem jeden Tag tausende von Inder und ebenso viele Ausländer strömen. Sadhguru kennen sicherlich die meisten aus den Sozialen Medien; sein Gesicht und seine Gedankenanstöße sind omnipräsent und er ist aktuell der wohl populärste indische spirituelle Lehrer, der weltweite Anerkennung genießt. Mit der Gründung der Isha Foundation, einer spirituellen non-profit Organisation sowie mit dem Angebot des Persönlichkeitsseminars „The Inner Engineering“ hat er ein Millionenpublikum erreicht, innerhalb und auch ausserhalb von Indien. Man könnte sagen, Sadhguru ist der Popstar unter den lebenden indischen Gurus und sein Ashram gleicht ein kleines bisschen einem spirituellen Disneyland. Die Meinungen zu Sadhguru gehen auseinander, insbesondere von den Indern hört man immer wieder kritische Stimmen.
Der Dhyanalingha Tempel ist ein besonderer Ort
In der Mitte des Ashram Campus in Coimbature steht der Dhyanalingha Tempel, wo Meditationen gemäß der Lautsprecherdurchsage in Sekundenschnelle eine tranceartige Tiefe erhalten können. Betritt man die Tempelanlage, so fühlt es sich tatsächlich so an, als ob die Gravitationskraft einen mit aller Macht auf den Boden zieht, und die Schwere der Luft bewirkt, dass man automatisch in die Stille einkehrt. Gedanken, die gerade noch wie lästige Fliegen im Kopf herumgeschwirrt sind, senken sich blitzschnell zu Boden wie schwere Felsbrocken im Wasser und offenbaren den Blick auf den klaren tiefen Grund. Der Kopf wird frei und eine große Kraft verbindet einen mit der Erde, auf der man sitzt, eingehüllt und überdacht von einem Dom aus tausenden und abertausenden von rötlichen Ziegelsteinen. Der Steindom bildet ein architektonisches Meisterwerk, welches für die nächsten 5000 Jahren erbaut worden ist. In der Mitte des Doms steht der Dhyanalingha, eine pechschwarze runde Säule mit abgerundeter Spitze. Sie ist mindestens 2 Meter hoch. Sadhguru sagt über den Dhyanalingha:
“Dhyanalinga is a living being because it has come with all the seven chakras. It is just that there is no physical body. Dhyanalinga is like the energy body of the highest kind of being possible, like a yogi sitting there. Or to put it in traditional terms, we created Shiva himself. The idea is that people have a live guru forever.”
Im Verlauf meiner Woche im Ashram stelle ich fest, dass der Besuch des Dhyanalingha Tempels tatsächlich etwas süchtig machen kann. Sich im Dom aufzuhalten ist ein besonders anziehendes Gefühl. Das geht nicht nur mir so, sondern auch den Gästen, mit denen ich mich im Laufe meines einwöchigen Aufenthalts dort unterhalte.

Hier gehts zur Webseite der Isha Yoga Foundation
Den Rausschmiss aus dem Ashram verhindert
Als ich den Dom am dritten Tag betrete und mich in einer gemütlichen Seitennische zum Meditieren niederlasse, ist mein Kopf vollgestopft mit herumwirbelnden Gedanken. Ich bin maximal genervt, verärgert und äußerst angespannt. Die letzten Stunden waren extrem nervenaufreibendend, da ich gerade mit aller Macht meinen Rausschmiss aus dem Ashram verhindert hatte.
Die Gretchenfrage war, ob ich meine Unterkunft verlängern kann oder nicht und diese vermeintlich simple Anfrage folgte einem hochgradig willkürlichen und unlogischen Prozess. Am letzten Tag meiner Buchung wurde ich informiert, dass mein Verlängerungsantrag nun doch abgelehnt wurde und ich spontan mein Zimmer räumen müsse. Der Ashram ist wohlgemerkt mitten im Dschungel und ganze 30 km von der nächsten Stadt entfernt. Da ich zudem wusste, dass es jede Menge leer stehender Betten in den Cottages gab, und es keine Folgebuchung für mein eigenen Zimmer gab, kam dieser Entscheid unerwartet und ich habe Einspruch eingelegt; die Folge war, dass ich mein Anliegen selber mit dem Cottage Manager durchverhandeln musste und das Gespräch war absurd und nervtötend bis zur letzten Sekunde der Einwilligung war, dass ich doch bleiben kann.
Ich habe im Gespräch argumentiert, dass das zweite Bett meiner Cottage-Nachbarin Meda frei wäre und ich daher nicht einsähe, wegen Schlafplatznot abreisen zu müssen… das Ende vom Lied war, dass ich nur unter der Bedingung bleiben konnte, das ich meinen Verlängerungsantrag zurückziehe und stattdessen mit Meda zusammenziehe. Auf Verständnisrückfragen, warum ich dann nicht gleich in meinem eigenen Zimmer bleiben kann, bekommt man grundsätzlich keine Antwort, das ist ein weiteres ungeschriebenes Gesetz. Die ganze Aktion war jedenfalls überaus absurd und hatte mit Logik rein gar nichts zu tun und so etwas kann ich nicht ausstehen!
Total gereizt betrete ich den Tempel…
In diesem Zustand komme ich also in den Dhyanalinga Tempel und suche mir ein Plätzchen, wo ich meine Ruhe habe. Meine Gedanken schießen wie Granatsplitter durch meinen Kopf. Ich setze mich in die Seitennische, die größer ist als gedacht und einen schönen weißen Marmorboden hat. Umgeben von der intensiven Energie im Raum setzt sich der Wirbel und Strudel an Gedanken in meinem Kopf schnell zu Boden und eine angenehme Schwere hält in meinem Kopf Einzug.
Plötzlich schießt mir eine Frage in den Kopf:
«Was ist eigentlich relevant?»
Ich bin erstaunt über die Frage und stelle fest, dass sie klug und interessant ist. Ich beschliesse, dass es eine durchaus relevante Frage ist, sich die Frage zu stellen, was relevant ist und entscheide, ihr meine Meditation zu widmen.
Ich frage mich, welche Gedanken, welche Umstände im Leben eigentlich relevant sind. Ist es relevant, dass ich mich weiterhin aufrege, ist es relevant, dass ich mich emotional in Themen hineinbegebe, die ich nicht ändern kann, ist es relevant, sich an der Oberfläche des Geistes zu befinden und jede Strömung der Wellen mitzuerleben und sich hinfort reißen zu lassen und sich darin zu verlieren? Diese Fragen sind wertvoll… was ist wirklich, wirklich relevant? Ist es meine berufliche Verwirklichung? Geht es darum, tiefere Erkenntnisse zu erlangen, was mich von meiner vollen Potenzialentfaltung abhält … oder im Gegenteil zu ihr beiträgt… oder ist es die Erkenntnis, dass bereits alles in mir steckt, was ich brauche…was genau soll ich denn überhaupt im Leben priorisieren und was davon ist wirklich relevant? Und muss überhaupt irgendetwas relevant sein und wenn ja, warum ist es relevant und was bedeutet Relevanz eigentlich als Wort? (Anmerkung: Relevanz (lat: re-levare) bedeutet [den Waagebalken, eine Sache] wieder bzw. erneut in die Höhe heben).
Da sitze ich also nun und sinniere in der Stille über diese Frage nach und bitte um eine Antwort und stelle sie mir mantrartig immer und immer wieder diese Frage…
„Was ist eigentlich relevant?“
… zehnmal… zwanzigmal… hundert Mal stelle ich mir innerlich diese Frage «Was ist eigentlich relevant?». Irgendwann, nach dem dritten oder vierten Glockenläuten (nach 15 min ertönt immer eine Glocke, sodass sich die im Dom befindlichen Menschen erheben und ihn verlassen können, wenn sie möchten, damit die nächsten Menschen hereinkommen können) schießt mir plötzlich der Gedanke durch den Kopf, dass mir das Universum, selbst wenn es wollte, bei all dem inneren Gequassel beim besten Willen keine Antwort geben kann. Ich würde eine Antwort ja überhaupt nicht hören! Ich verstehe mich selber nicht, wenn ich pausenlos wie ein Wasserfall innerlich vor mich hinbrabble! Wenn ich eine Antwort möchte, muss ich die Klappe halten und zuhören. Auch innerlich. Dieser Gedanke leuchtet mir ein und ich unterbreche mich schlagartig mitten im Satz. Das war eine sehr gute Idee, wie sich nun zeigen wird.
Ich komme gerade noch dazu, mich zu fragen: «Was ist..?», dann bringe ich mich selber zum Schweigen. Nun habe ich also die halbe Frage im Kopf und spüre sofort ein Klicken im Bauch, dass ich gerade etwas Tolles entdeckt habe! Die Frage “Was ist?” ist nämlich die wesentlich essenziellere Frage und ich hatte sozusagen das Konzentrat der Ursprungsfrage gefunden, denn die Essenz der Ursprungsfrage «Was ist relevant?» ist die Frage: «Was ist?» Ich hoffe, ihr könnt mir noch folgen. Die relevante Frage ist nicht, was relevant ist oder was wichtig ist oder was gut ist oder was erstrebenswert ist, oder welches Adjektiv wir auch immer verwenden wollen, sondern die Essenz davon ist schlicht und ergreifend die Kernfrage: «Was ist?” im Sinne von “Was ist (gerade)?» Die Adjektive sind austauschbar, aber das Verb ist der Kern! Ich mochte das Verb «sein» schon immer, da es den grundlegendsten Daseinzustand von allem beschreibt. Sein ist die grundlegendste Daseinsform allen Lebens. Es geht nicht darum, ständig etwas tun oder etwas leisten (!) oder etwas bestimmtes sein zu müssen, sondern vielmehr darum, einfach nur zu sein. Wir Mensch sind schließlich keine «human doings», sondern «human beings».
Die eigentliche Kernfrage ist „Was ist?“
Ich erkenne also, dass die viel zentraler Frage ist, was eigentlich (gerade) ist, und ich frage mich: «Gute Frage, was genau ist denn bitteschön gerade?» Was ist da, was kann ich wahrnehmen mit meinen menschlichen Sinnen in diesem Moment? Ich finde die Kondensierung der Frage aufs Wesentliche aufregend und setze das Erkannte gleich in die Praxis um. Was also ist gerade? Was kann ich gerade wahrnehmen? Ich checke mit meinem Körper ein, denn diesen kann ich sehr gut wahrnehmen und spüren, ich kann spüren, wie sich mein Rücken anfühlt, dass sich ein unangenehmes Ziehen in der linken Lendengegend breit macht vom aufrechten Sitzen, dass ich ein Ziehen in der rechten Brust spüre und dass ich den Mann neben mir husten höre und das Geräusch im ganzen Dom widerhallt. Das alles «ist» gerade, das alles kann ich wahrnehmen und mit meinen Sinnen erfassen. So sitze ich also mit einem geschärften Bewusstsein in der Seitennische des Doms und erstelle einen Bericht davon, was gerade ist, also ob ich eine Reporterin wäre und eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme der aktuellen Situation mit allen meinen Sinnen mache.
Und dann, ganz plötzlich, kurz bevor die Glocke ein weiteres Mal läutet, geschieht etwas Unglaubliches und ich tauche nochmal ein weiteres Bewusstseinslevel tiefer.
Aus der Frage „Was ist relevant?“ wird die Antwort „Was ist.“
Aus meiner Frage «Was ist?» wird vor meinem geistigen Auge ein neues Gebilde und ich erkenne die Antwort auf meine Frage. Das Fragezeichen am Ende meiner Frage leuchtet auf einmal grell auf und vergrössert sich vor meinem inneren Auge und formt sich dann wie im Nebel zu einem Punkt um. Meine Frage, die mit einem Fragezeichen geendet hatte, transformiert sich zu einem Aussagesatz und endet nun auf einmal mit einem Punkt. Ich erkenne: Die Antwort auf die Frage «Was ist?» lautet «Was ist.» Aus der Frage wird die Gewissheit, dass das Relevante im Leben immer dasjenige ist, was (gerade) ist. Ich bin aufgeregt, weil die Antwort auf meine Frage schon seit der allerersten Sekunde in der Frage selber drin gesteckt hatte und ich sie bis jetzt nur nicht erkannt hatte. Ich fühle mich, als ob ich gerade einen Piratenschatz in einer geheimen Höhle entdeckt hätte, nachdem ich die Schatzkarte richtig gedeutet habe. Die Frage wird also zur Antwort und ich freue mich angesichts dieser genialen Erkenntnis.
Ich erkenne, der relevanteste Mensch ist immer derjenige, der dir im Moment gegenübersitzt, die relevanteste Empfindung immer diejenige, die du gerade spürst, der relevanteste Moment ist immer derjenige, den du gerade erlebst und die relevanteste Aufgabe ist immer diejenige, die dir gerade in dieser Sekunde begegnet. In der Präsenz mit dem, was ist, liegt der Schlüssel zum Glück. Je präsenter wir sind, desto bewusster sind wir, und je bewusster wir sind, desto glücklicher.
Relevant ist das, was ist.
Ich bin mit der Erkenntnis sehr zufrieden und erfreue mich an ihrer schlichten Intelligenz und auf welche vollkommene Art und Weise die Antwort schon vom ersten Moment an in der Frage eingebettet war. Das Geniale ist oft das Einfache und die Antwort in der Frage zu finden, finde ich ziemlich genial. Ich bedanke mich bei dem Dhyanalinga und verlasse meine Meditationsnische in Vorfreude auf all die neuen Erfahrungen, die ich nun mit der neuen Erkenntnis machen werde.
Alles Liebe,
Deine Salome
Sehr guter tiefgründiger Bericht.Danke!*