Warum machst Du ein Sabbatical?

Juni 8, 2023 | Crazy, fun, shit in India

Die mir am häufigsten gestellte Frage im Jahr 2023: «Warum machst du ein Sabbatical?»

Gegenfrage: Warum denn nicht?

Kurze Vorwarnung: der folgende Artikel ist unter dem Einfluss starker Emotionen entstanden, man könnte auch sagen, ich war ziemlich angepisst. Weiterlesen erfolgt daher auf eigenen Gefahr!

Ich habe die Nase voll

Also, da sitze ich nun auf meinem geliebten orangenen Samtsofa zuhause in der Schweiz mit meiner dicken, fetten Nasennebenhölenentzündung, weil ich die Nase buchstäblich gestrichen voll habe von den uninspirierenden Gesprächen in letzter Zeit. Erklär mir doch bitte einmal einer, warum sollte man denn KEIN Sabbatical machen? Warum sollte man sich dazu entschliessen, das Leben NICHT nach allen Möglichkeiten abzuscannen, die Freiheit und Lebensqualität versprechen und diese NICHT umsetzen, vor dem Hintergrund der Tatsache, dass unser Leben endlich ist, wie wir alle ganz genau wissen?

Ich weiss, ich weiss, ich weiss… ich habe viele mannigfaltige Gegenargumente in epischer Breite in den letzten Monaten gehört… Gegenargumente von Erwachsenen, die ihre natürliche Lebensfreude systematisch depriorisieren und äussere Erwartungen zum Massstab machen ….die sich von der Karotte vor ihrer Nase verführen lassen, anstatt das zu tun, was sie in der Tiefe erfahren lässt, wie gross und bunt es ist zu LEBEN und zu GENIESSEN und zu FEIERN und SICH SELBST zu sein…. „Ich habe Verpflichtungen“, „Ich bin nicht mobil“, „Ich habe nicht genügend Geld“, „Ich habe nicht den Mut“, „Ich bin zu alt“ …. Liebe Leute, erinnert euch doch bitte an folgenden Grundsatz: Wenn man aus dem Mangel heraus denkt, kann auch nur Mangel daraus entstehen. Wo ist denn bitteschön euer Lebensdurst, wo ist eure Fähigkeit zu träumen, wo ist eure kindliche Neugier auf das Leben, wo ist eure Schöpferkraft als Spitze der Evolution?

Warum haben wir uns alle nur so verdammt sehr angepasst und verlernt darauf zu hören, was wir wirklich SELBER wollen? Warum haben wir aufgehört zu fragen, welche individuellen Wünsche und Träume in jedem von uns seit Kindheitstagen schlummern und ein Ausdruck unserer Einzigartigkeit sind? Warum akzeptieren wir den grossen Bulldozer namens Erziehung, Schule und gesellschaftliche Erwartungen, der über uns rollt und dafür sorgt, dass unsere zarte Einzigartigkeit von vorgefertigten Schablonen niedergewalzt wird, sodass wir funktionieren wie ein geöltes Rädchen in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung?  Ich nehme mich nicht aus, es ist wirklich das grosse Drama unserer Zeit. 

Reaktionen zum Haare raufen

Wie oft habe ich die Sätze gehört: «Oh, du machst ein Sabbatical? Ich bin neidisch auf dich!» oder auch «Ein Sabbatical? Wow, das war auch immer mein grösster Traum!» oder diese Reaktion «Wie gut Du es hast, dass du so etwas machen kannst! Für mich ist das ja leider nicht möglich!»

Machen wir uns jetzt einmal zusammen die Mühe, diese in Worte gepackten inneren Haltungen der einzelnen Sprecher genauer unter die Lupe zu nehmen. Wir nehmen an dieser Stelle die Sprecher in die Verantwortung für jedes ihrer Worte und lassen nicht gelten, dass dies irgendwelche Floskeln gewesen sein sollen, die sie einfach so daher gesagt hätten. Bitte festhalten jetzt, denn nun wird es spannend! Und schmerzhaft!

Reaktion #1 «Oh, du machst ein Sabbatical? Ich bin neidisch auf dich!» 

Hierbei haben wir es also mit einer Person zu tun, die laut eigenen Angaben neidisch ist. Dies ist, soviel wissen wir alle, grundsätzlich ein ziemlich unschöner Zustand. Neid ist auf der Vitality Tone and Attitude Scale von Stephen J. Cocoony (2019) am unteren Ende im Bereich von Vitalitätsgefühl und Lebenskraft. Die Skala besagt, neidische Personen sind tendenziell ein Magnet für Versagen, Negativität und Emotionale Unausgeglichenheit.

Sorry Leute, aber das sind die wissenschaftlichen Fakten. Neidische Menschen haben eine ausgeprägte Anfälligkeit für Stress und auf der Körperebene kann dies sogar einhergehen mit angespannten Muskeln, Enge in der Brust bis hin zu kompletter Starre im Körper. Noch eine soziologische Perspektive: «Neid ist ein soziales Phänomen, das im Vergleich mit anderen entsteht. Die neidische Person beobachtet ihr Umfeld, bewertet die Unterschiede und sieht sich selbst im Nachteil. Neid bezeichnet damit eine Empfindung, bei der die neidende Person über die Güter einer anderen Person selbst verfügen möchte oder ihr diese nicht gönnt.»

Klingt nicht gerade sexy, wenn man sich das einmal bewusst vor Augen führt. Immer wenn ich diese Reaktion gehört habe, dass jemand neidisch auf mich ist, hat es in meinem Magen gegrummelt und ich habe gespürt, dass ich kein grosses Bedürfnis danach habe, mich weiter in ein Gespräch zu vertiefen. Eine solche Aussage ist auch ganz sicher kein Kompliment. Diese Aussage ist ein direkter Rückverweis auf die Hilflosigkeit und Traurigkeit des vor mir stehenden Menschen. Autsch. Mehr Freude bereitet es mit Menschen zu sprechen, die ihr Leben bewusst gestalten und es deshalb genau so lieben, wie sie es erschaffen haben. In der Konsequenz können sie sich dann aufrichtig am Glück anderer erfreuen. Dieser Austausch bringt eine grundsätzlich andere Energie mit sich und ist bereichernd.

Lasst uns also alle etwas achtsamer mit derlei Aussagen sein und uns selbstkritisch hinterfragen, welch ungelebtes Bedürfnis dahintersteckt, wenn wir andere um etwas beneiden. Und was wir konkret dafür tun können, um unser Bedürfnis ernst zu nehmen und uns darum zu kümmern, sodass wir künftig aus einer inneren Haltung an Fülle und Zufriedenheit unseren Mitmenschen begegnen können. 

Reaktion #2 «Ein Sabbatical? Wow, das war auch immer mein grösster Traum!»

Hierbei haben wir es nun mit einer Person zu tun, die am Grab ihrer Träume steht und dich ungefragt auf den Friedhof mitschleppt. Sie erinnert sich daran, dass sie einmal einen ähnlichen Traum hatte, und dass sie diesen im Laufe der Jahre für tot erklärt und dann irgendwo in den Tiefen ihres Unterbewussten verscharrt hat. Die Wahl des Verbs in der Vergangenheitsform (es „war“ ein grösster Traum, und nicht es „ist“ mein grösster Traum) legt zudem offen, dass wir es hier mit einem gezähmten Vogel zu tun haben, der sich damit abgefunden hat, für immer in einem Käfig zu sitzen. Auch wenn die Käfigtüren durch eine glückliche Fügung aufgehen sollten, so hat der Vogel bereits vergessen, dass er gesunde Flügel hat und dass er damit hier und jetzt direkt in die Lüfte davonfliegen könnte. Wie tragisch.

Dieser Vogel hat leider vergessen, wer er selbst ist. Nur manchmal, wenn andere Vögel auf seinem Käfig landen und ihm fröhliche Melodien von der grossen, weiten, wunderschönen Welt vorzwitschern, dann erinnert er sich daran, wie es war, als er seine Flügel noch ausbreiten und selber durch die Lüfte segeln konnte. Die Türen zum Käfig mögen sperrangelweit offenstehen, vielleicht helfen ihm sogar andere Vögel und öffen die Türe von aussen, doch der kleine Vogel bleibt traurig sitzen in seinem Gefängnis und weint seinen Träumen hinterher ohne zu bemerken, dass er jeden einzelnen Tag die Möglichkeit hätte, davonzufliegen und seine Träume umzusetzen! Aus Gewohnheit bleibt er im Käfig sitzen und spaziert innerlich zum Grab seiner Träume, dort legt er ein paar Blumen ab, weint ein paar Tränen des Selbstmitleids und verharrt dann in der Resignation, die schon zu seinem besten Freund geworden ist. Etwas theatralisch ausgedrückt, aber genauso ist es.

Jetzt einmal tief durchatmen.

Meine abschliessenden Worte nach diesem kleinen Exkurs:

Ich verstehe es, dass sich für viele die Frage stellt, warum man sich dazu entscheiden kann, ein Sabbatical zu machen, und ich finde es auch gut, dass Fragen gestellt werden, dass Diskussionen stattfinden und dass Interesse am Thema besteht! Ich bin trotzdem entsetzt darüber, wie unfrei wir alle sind, dass sich diese Frage überhaupt stellt. In Skandinavischen Ländern gehört ein Sabbaticals zum guten Ton, man könnte auch sagen, die Gründe, wieso die Nahme eines Sabbaticals eine grossartige Idee ist, kennt dort bereits jedes Kind. Reduzierter Stress und verbesserte mentale Gesundheit, mehr Zeit für die wichtigsten Menschen im Leben, Genuss privater Leidenschaften, Reisen durch die Welt oder Fokus auf anderweitige Herzensprojekte jenseits des Jobs …wir alle wissen doch genau, was uns glücklich macht und wofür wir uns mehr Zeit wünschen…wir sind alle kunterbunte Menschen und SO VIEL MEHR wie nur die Rollen, die in unseren Arbeitsverträgen stehen…wir sind SO VIEL MEHR und es wird Zeit, dass wir uns dieses Recht und diese Verantwortung gegenüber uns selber bewusst machen und ein Leben gestalten, das im Einklang mit unserer individuellen Natur ist.

Ja zu MIR

Ich persönlich habe mich entschieden, ein Sabbatical zu machen, weil ich JA zu MIR sage. Weil ich Erinnerungen sammeln möchte, die mich für immer nähren. Weil ich meinen Horizont erweitern will. Weil ich mein Bewusstsein reifen lassen will. Weil ich mich auf die Geschmäcker indischer Gerichte freue. Weil ich wieder Dinge zum Ersten Mal tun will. Weil ich mich selber überraschen will. Weil ich mich auf den Einfluss anders-denkender Menschen freue. Weil ich Lust auf ein Land mit Sonne und Palmen habe. Weil ich den Indischen Wind in meinen Haaren spüren will. Weil ich Abendteuer liebe. Weil mich diese Reise wachsen lassen wird. Weil ich es mir selber wert bin, ganz genau deshalb mache ich ein Sabbatical.

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