Studie einer indischen Familie (1)

Okt 16, 2023 | Crazy, fun, shit in India

10 Tage habe ich inmitten einer indischen Familie in Chennai verbracht, im Staat Tamil Nadu. Die Anprobe meines neuen Saris anlässlich des 9-tägigen Hindu-Festivals Navaratri haben wir gerade beendet, als ich mich zum Schreiben dieses Artikels auf die Kokosmatte auf dem angenehm kühlen Fliesenboden niederlasse. Wir haben uns für die schillernde pinkorange Version mit der knallgrünen Bluse entschieden, die ich morgen samt Unterrock und Schmuck tragen darf. Der Sari gehört Mutter Jothi und sie ist so freundlich, mir ihr hübsches Gewand auszuleihen.

Navaratri wird in ganz Indien 9 Tage lang gefeiert zu Ehren der Göttlichen Mutter Durga und an jedem der 9 Festtage wird eine andere Gottheit verehrt. Morgen Abend werden wir ausgehen und Nachbarn und Freunde der Familie besuchen. Der Raum, in dem ich sitze, war eben nochm erfüllt von ausgelassenem Gelächter, tausend bunte Saristoffe waren auf dem Boden verteilt, Jodhi sass vor dem geöffneten Kleiderschrank und hat energisch Blusen für mich ausgewählt und zum Anprobieren aufgefordert und ihre Töchter Shamili (28 Jahre) und Durga (33 Jahre) haben in einer ausgelassenen Stimmung ihre Meinung dazu lautstark kundgetan. Ich liebe diese Momente. Ich freue mich, dass wir uns alle einen Spaß daraus machen, uns für Navaratri mit traditionellen indischen Kleidern zu schmücken und zusammen das Leben zu genießen. 

Aber jetzt einmal ganz von vorne…

Wer sind eigentlich diese Menschen, in deren Mitte ich 10 Tage leben darf? Wer sind diese Menschen, die mich wie ein Familienmitglied aufgenommen und in ihrer 3 Zimmerwohnung an der Küste der Megacity Chennai (6. grösste Stadt Indiens, mehr als 12 Mio Einwohner) als Gast empfangen haben? Alles begann so: Vom 6. bis 15. September 2023 war ich Kursteilnehmerin im Temple of Consciousness in Aliyar und habe dort drei sensationell interessante Kurse besucht, den Kundalini Awakening Foundation Course, und Introspection 1 & Introspection 2. Dort hat mich beim Mittagessen eine quirlige junge Inderin angesprochen namens Shamili und mich seit diesem Treffen nicht mehr aus den Augen gelassen; bei jedem zufälligen Kreuzen unserer Wege auf dem Campus hat sie mir mit heller fröhlicher Stimme zugerufen und winkend auf sich aufmerksam gemacht, ist auf mich zugekommen und hat mich umarmt und geherzt und mich ein Stück des Weges begleitet. Und eines Tages war es dann ich selber, die ihr aus dem Fenster des 1. Stocks im Trainings Center fröhlich zugewinkt und lautstark auf sich aufmerksam gemacht hat, als sie am Gebäude vorbeilief, um mit ihr ein herzliches Lachen auszutauschen. In diesem Moment wurde mir bewusst, dass sie mein Herz gewonnen und wir Freundinnen geworden waren. 

Ich liebe die Herzlichkeit der Inderinnen

Die Herzlichkeit der Inderinnen ist oft von enorm berührender Qualität und eine Quelle großer Freude. Körperkontakt spielt in jeder Begegnung eine große Rolle, die Hände finden sich automatisch und Finger werden ineinander gehakt, Küsschen auf die Wange geküsst und ganz viel Nähe im gegenseitigen Austausch geschenkt; ich habe viele Inderinnen von jung bis alt dabei beobachtet, wie sie Händchen haltend die Straße entlang liefen, weil sie ihre Zusammengehörigkeit in diesem Moment genossen und als Verbündete allem trotzten, was auch immer ihrer Wege kommen mag. Ich liebe diese Form der gegenseitigen Begegnung. Ich bin ganz sicher in einem früheren Leben ebenfalls eine Inderin gewesen, weil diese Wesensart mir so sehr entspricht und gefällt…oder aber sie war schon immer Teil der DNA von uns Menschen allgemein, bis wir uns vom ursprünglichen Verhalten der Säugetieren immer weiter entfernt haben. Heute ist das natürliche Bedürfnis von Körperkontakt und dessen gesunden hormonellen Begleiterscheinungen (Ausschüttung von Oxytocin und Serotonin bei Berührungen) oft so weit aus unserer (Europäischen) Gesellschaft verdrängt, dass wir in der Vereinzelung gelandet sind und uns immer weniger spüren und spüren lassen. Einsamkeit und soziale Störungen wie Depressionen sind die Folgen und mittlerweile ein globales Phänomen.

In Indien jedenfalls gefällt mir die indische Art von Begegnungen von Frauen untereinander außerordentlich gut und Shamili hat mein Herz mit ihrer einladenden und fröhlichen Art im Sturm erobert. Am selben Tag, als sie ihren Kurs beendete und mit dem Flugzeug zurück nach Chennai abgereist war, kam ihre Schwester Durga aus Chennai angeflogen für einen anderen Kurs. So habe ich Durga kennen gelernt, was die zweite außergewöhnliche Begegnung mit einem Mitglied dieser besonderen indischen Familie war.

Durga nahm an einem “Moanam” Kurs teil, was bedeutet, dass sie die gesamte Aufenthaltsdauer dort zum Schweigen verpflichtet war. Wir haben uns auf eine Art und Weise kennengelernt, die wahrhaft ungewöhnlich ist: ich habe mit ihr gesprochen und sie hat mit Nicken oder Kopfschütteln geantwortet oder bei totalen Verständigungsschwierigkeit ihre Antworten auf Englisch in unseren Whatsapp Chat getippt. Es muss ein lustiger Anblick gewesen sein, wie ich auf sie beim Mittagessen eingeredet habe und sie mir schweigend zugehört und dann als Reaktion auf ihrem Handy herumgetippt hat. Wir haben auf diese Art erstaunlich tiefgründige Gespräche geführt und ebenfalls eine tiefe Verbindung zueinander entwickelt. Durga ist eine wunderschöne und feinfühlige Frau und wir sind uns in vielen fundamentalen Ansichten im Leben einig.

Bei unserem Abschied im Temple of Consciousness hat Durga mich zu sich nach Hause eingeladen, nach Chennai, wo sie mit Shamilie, ihren Eltern und dem kleinen weißen Spitz Teddy wohnt. Wir haben uns nach dem Kurs zunächst in alle Himmelsrichtungen verstreut, die Schwestern zurück nach Chennai und ich nach Sri Lanka. Wenige Tage später nach der Verabschiedung erreichen mich diese berührenden Worte von Durga:

Our friendship happened only in a few days, but I will cherish it forever. Please try your best to come visit us in Chennai.”

Und das habe ich dann auch getan.

Fortsetzung folgt.

Alles Liebe,

Eure Salome

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