Im August war ich eine Woche lang Gast im Ashram von Swami Bhoomananda in Thrissur im Südwesten Indiens und habe dort in der Bibliothek des Ashrams ein grossartiges Buch entdeckt, von dem ich euch gerne berichten möchte:
“Insights into Bhagavad Gita” von Swami Bhoomananda Tirtha (Hrsg. 2019).
Die Bhagavad Gita ist eine zentrale Schrift im Hinduismus, die 700 Verse umfasst und im 1. oder 2. Jahrhundert nach Christus verfasst wurde. Sie enthält den allseits bekannten Dialog zwischen Prinz Arjuna und Krishna in den Rollen als Schüler und Lehrer, die inmitten eines Schlachtfeldes bedeutsame Lebensweisheiten austauschen. Viele Menschen in Indien haben diese Verse intensiv studiert und viele Swamijis Bücher dazu geschrieben mit Kommentaren zu den jeweiligen Versen.
Swami Bhoomananda ist ein mittlerweile 90-jähriger Mann mit messerscharfem Verstand, der einen grossen runden goldenen Punkt auf der Stirn trägt, nicht mehr so gut hört und dessen Lieblingsfarbe Orange ist (alles im Ashram ist Orange: die Kleidung der Swamijis, die Farbe der Hauswände, die Vorhänge, die Stühle, die Mikrofone, selbst die Mülleimer sind Orange…). Er leitet den Ashram zusammen mit seinen zwei Weggefährten und ehemaligen Schülern Swamini Ma Guruprija (die einzige weibliche Swami, die ich in 5 Monaten Indien kennen gelernt habe und die eine beeindruckend reife (Führungs-)Persönlichkeit hat) und Swami Nirviseshananda Tirtha.
Als ich das erste Mal auf Swami Bhoomananda treffe, leuchten seine Augen, als ich ihn frage, wie es Ihm geht (meistens muss er sich anhören, wie es anderen geht). Ich sage ihm, dass ich den grossen Punkt auf seiner Stirn hübsch finde und dass orange auch meine Lieblingsfarbe ist. Swami Bhoomananda erzählt mir begeistert, dass orange die Farbe der Reinheit ist und will mir noch Weiteres erklären, doch dann werden wir von seinen Mitarbeitern unterbrochen, weil seine globale Live-Sendung für den Satsang gerade beginnt und seine YouTube Follower auf ihn warten.
Lasst uns über ein Tabu-Thema sprechen: TOD
Soviel vorab: Ich möchte keine grosse Kiste zu dem Thema Tod aufmachen und ganz sicher auch nicht irgendetwas anraten oder schlimmer noch belehren, welche Haltung und Perspektive man im Bezug auf den Tod haben sollte. Dies ist eine zutiefst subjektive Ansicht, bei der jede/r seine/ihre eigene Wahrheit finden muss. Ich kann das deshalb sagen, weil ich meinen Vater und meine Mutter als junge Frau verloren habe und daher aus Erfahrung weiss, wie sich Verlust anfühlt. Ich weiss, welche grauenhaften Schmerzen man durchlebt, wenn diejenige Person stirbt, die einem die Liebste auf der Welt ist. Ich habe in meinem Leben schon viel über den Tod nachgedacht. Doch so wie es der Buddhismus auch empfiehlt, sollte jeder seine ganz eigene Meinung bilden, die sich stimmig anfühlt und dann eigenverantwortlich mit den jeweiligen Konsequenzen dieser Haltung umgehen. In diesem Meinungsbildungsprozess ist es jedoch wertvoll, unterschiedliche Perspektiven kennen zu lernen.
Beim Durchblättern des Buches „Insights into Bhagavad Gita“ entdecke ich auf Seite 64 einen Kommentar von Swami Bhoomananda zum Thema Tod, den ich sehr schön finde. Er bietet ein alternatives Konzept zum weitverbreiteten „Der-Tod-ist-halt-das-Ende-und-dann-kommt-nichts-mehr“ Dogma an:

Er schreibt, dass der Tod keine Endstation ist, sondern ein Übergang. Eine Transition. Als Beispiel führt er an, dass unser Körper ebenfalls lebenslangen Übergängen ausgesetzt ist. Im Laufe unseres Lebens verändert sich unser Körper sichtbar, da wir erst als kleines Baby mit vielleicht 50 cm auf die Welt kommen und dann innerhalb von anderthalb Jahrzehnten zu einem durchschnittlich 170cm großen Menschen heranwachsen. Das bedeutet, dass sich unsere Körpergröße im Laufe unseres Lebens vervierfacht. Mit jedem Atemzug, den wir tun, verändern wir uns, mit jedem Atemzug werden wir einen Bruchteil älter. Wir sind niemals statische Wesen, weder in biologischer Hinsicht, noch in psychischer, noch in sonst irgendeiner Hinsicht. Der stetige Fluss an Energie ist ein natürlicher Zustand.
Der Tod ist keine Endstation, sondern ein Übergang
Bei einem Baum kann man es auch gut beobachten, denn sein Wachstumszyklus ist mit dem bloßen Auge erkennbar. Jeden Tag sieht der Baum ein bisschen anders aus, erst sind an seinen Zweigen Knospen, dann wenige Tage später Blüten, dann werden daraus kleine grüne Äpfel und irgendwann laufen wir am Baum vorbei und die Äpfel sind rot. Doch auch hier macht der Zyklus nicht halt, denn die Äpfel verschrumpeln, sie fallen ab, der Zweig verliert seine Blätter und erscheint mit Beginn des Winters kahl und tot. Doch unserem Auge verborgen sind die inneren Kräfte des Baumes, die er tief in seinem Stamm bewahrt und nutzt, um im Frühling wieder neue Formen an herrlichen Blüten hervorzubringen. Würden wir jemals sagen, dass der Baum stillsteht, oder tot ist, auch wenn er im Winter kahl aussieht?
Ein toter Baum als Metapher…
Und wenn der Baum sehr alt wird, seine Äste eines Tages brechen und er in sich zu Staub zusammenfällt und verrottet: Würde der Pilz sagen, der nun fröhlich auf der abgebrochenen Baumrinde wächst, dass der Baum tot ist und ihm keine Energie mehr spendet? Würden die Blumen sagen, die im Humus des zerfallenen Baumes erblühen, dass der Baum tot ist und ihnen keine Energie mehr spendet? Würde der kleine Kern, der als Samen des alten Baums im Boden schlummert sagen, dass der Baum tot ist und ihm keine Energie mehr spendet, obwohl er bereits Wurzeln geschlagen hat und schon ein kleiner grüner Keim aus ihm spriesst?
So steht im Vers der Bhagavad Gita auf Seite 73 eindrücklich: “As clothes that are put on the body are discarded and new ones worn instead, so the indwelling spirit leaves aging bodies, and takes up new ones.” Veränderung ist immerwährend und es gibt niemals ein Ende der Veränderung, auch der Tod ist kein Ende, sondern ein Übergang zu etwas Neuem. Wir Menschen sind Wesen, die sich fortwährend verändern und unsere Energie geht dabei nie verloren. Die Inder sagen dazu „Prana“, die kosmische Urenergie oder Lebensenergie, die jedem Lebewesen innewohnt und für alle Zeiten besteht. Die Grundlagenphysik bestätigt ebenfalls, dass Energie nie verloren gehen kann, sie verändert nur ihre Form. Die aufregende Schlussfolgerung aus dieser Erkenntnis:
“No one will ever die […] The wise people do not grieve over death. […] Think beyond what the eyes show.”
(Insights into Bhagavad Gita, Swami Bhoomananda Tirtha, Seite 64)
Ganz genau an diesem Punkt begraben liegt unsere Wachstums- und Erkenntnischance als Menschheit, genau hier haben wir meiner Meinung nach einen blinden Fleck, weil wir oft nur das glauben, was wir mit dem blossen Auge sehen oder mit den aktuell verfügbaren wissenschaftlichen Methoden nachweisen können. Ich frage mich, wann haben wir als Gesellschaft kollektiv die Entscheidung getroffen, mit der Abkehr von einer spirituellen Lebensform all dasjenige aus unserem Leben zu streichen, was dem Auge verborgen ist und uns immer nur auf unsere sensorische Wahrnehmungsfähigkeit zu verlassen? Wann genau haben wir die spirituellen Wurzeln unserer keltischen und germanischen Vorväter und Mütter verloren, die in ihrem Bewusstsein teilweise so viel breiter waren als wir heute? Wie wäre es, wenn wir zur Kenntnis nehmen, dass Energie nie verloren geht, auch nicht die Energie, die den Körpern unserer Liebsten innewohnt und nach dem biologischen Tod eine andere Form der Existenz findet?
Wie wäre es, diesen Gedanken zu denken und festzustellen, dass der Tod keine Endstation sein kann, sondern vielmehr der Übergang zu etwas Neuem ist?
Ich wünsche dir viel Freude beim neugierigen Betrachten dieser Perspektive.
Alles Liebe,
Deine Salome
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