Hier sitze ich nun, es ist 09:13 Uhr, Montagmorgen, 26. Juni 2023, und in 7 Minuten startet das Boarding für meinen Flug von Zürich nach Mumbai. Ich weiss nicht, wann ich in die Schweiz zurückkehren werde, ich halte in meinen Händen ein one-way Ticket. Ich sitze inmitten einer Indischen Familie im Abflugbereich des Terminals und fühle mich irgendwie geborgen, obwohl mich die Indische Mami kritisch beäugt. Ich schreibe diesen Artikel und möchte über meine Gefühle reflektieren, die ich während der letzten 24 Stunden erlebt habe. Ich finde, dass wir uns oft zu wenig bewusst mit unseren Gefühlen auseinandersetzen und diese Situation ist eine exzellente Gelegenheit, dies exemplarisch zu tun. Es gibt genug darüber zu schreiben – glaubt mir, was man in 24 Stunden alles fühlen kann – es ist enorm.
Liebe
Genau jetzt vor 24 Stunden waren meine Gefühle, wenn ich sie in Farben beschreiben müsste, knalliges Orange, pulsierendes Rot und sonnig leuchtendes Goldgelb. Warme Farben haben mich eingehüllt in honiggelbes Licht, ich wurde umschmeichelt von Sonnenstrahlen wie eine Sonnenblume. Ich hatte das Gefühl, sehr geliebt zu sein. Ich war eingehüllt in den Armen meines Liebsten, seinen wunderbaren Geruch, seine Küsse und unser Verweilen in einer goldenen Lichtkugel hat mich glücklich gemacht im tiefsten Inneren. Die Liebe flüstert dir zu, dass du am richtigen Ort bist, dass du verbunden bist, dass du dich der Welle an Glücksgefühlen hingeben kannst, weil dieser Moment einfach nur vollkommen ist.
Alles fühlt sich stimmig an
Du fliesst mit der goldenen Energie und spürst: «Oh, wie sehr werde ich geliebt und wie sehr empfinde ich Liebe in mir.» Es ist so schön, in dieses höchste und schönste aller Gefühle eintauchen zu dürfen und sich darin zu baden wie in warmem Wasser. Es ist das schönste Geschenk im Leben, das ich kenne.
Liebe auch hat in jeder Umarmung gesteckt, die ich in diesen besonderen 24 Stunden meines Lebens von Menschen geschenkt bekommen habe, die mir Lebewohl gesagt haben. Ich liebe es, von Menschen umarmt zu werden und die körperliche Manifestation von Liebe zu spüren. Jede der 9 Umarmungen, die mir geschenkt wurden, habe ich in vollen Zügen genossen und die Liebe dieser Menschen für mich in ihren Armen gespürt.
Traurigkeit
Abschiede machen einem die Kostbarkeiten des Lebens deutlich. Tränen führen einem den Wert dessen vor Augen, was man beweint, und auch die Tiefe des Verlustes, weil er so sehr schmerzt. Das Gefühl von Alleinsein macht sich breit, die Schwere des Verlustes lastet auf meinen Schultern und die Farben um mich herum wirbeln in lähmendem Schwarz und dichtem, dunklem, lichtundurchlässigem Blau. Die Wolken schieben sich vor die Sonne und ich krümme mich auf meinem Stuhl, zu Hause, alleine, und fühle die Leere und bin traurig, ohne zu weinen. Der Abschied von meinem Liebsten, ohne den ich meinen Lebensweg nun fortsetzen werde am anderen Ende der Welt. Wie er schmerzt.
Der Abschied von meiner Nachbarin, die nicht nur neben mir wohnt, sondern mein Leben bereichert durch Teller voller Kuchen vor meiner Haustür und herrlichen Blumen im Briefkasten oder fröhlichen Sprachnachrichten mit Einladungen zum Abendessen. Wenn ich zurückkehre, wird sie nicht mehr hier wohnen und die gemeinsamen Mahlzeiten mit ihrer Familie werden nicht mehr stattfinden. Oh, wie dieser Abschied schmerzt. Veränderungen können traurig machen, sie können dir ins Bewusstsein rufen, wie gut dein Leben ist und wie viel du im Begriff bist zu verlieren, wenn du die Karten deines Lebens neu mischst. Schluck.
Angst
Diese Ungewissheit. Diese unglaublich grosse Ungewissheit. Auch diese Unklarheit, wie ein Sprung ins kalte Wasser. Flüssige, explodierende Farbfetzen wirbeln um mich herum in allen Schattierungen, die dunklen Farben überwiegen, und treffen immer wieder schmerzhaft wie Granatsplitter an meinen Wangen. Ich spüre die Angst auch körperlich, sie legt sich wie ein Eisenband um mein Herz. Die fiese Frage, die mich am Tag vor meiner Abreise erbarmungslos verfolgt: «Was zu Hölle hast du dir bei dem Ganzen gedacht? Was zur Hölle, bitteschön, hast du dir nur dabei gedacht? 12 Monate ein unbezahltes Sabbatical zu machen und nach Indien zu fliegen?»
Die innere Kritikerin meldet sich
Meine innere Kritikerin bäumt sich auf und quält mich weiter: «Wieso fliegst du nach Indien – wieso Indien? Und dann noch ganz alleine? Du hast keinen Plan, was dich dort erwartet! Du unterschätzt die Herausforderungen dieses Landes total! Du übergibst deine Wohnung in fremde Hände und wenn du zurückkehrst, wirst du dich hier nicht mehr wohl fühlen können.»
Bei Packen meines Reiserucksacks suchen mich angsterfüllte Sorgen heim, ständig quält mich die Frage, ob ich die richtige Auswahl an Gegenständen und Kleidern getroffen habe, ob ich etwas Wichtiges vergessen habe, ob ich das richtige eingepackt habe. Beim Packen wird mir klar, dass ich mich für ein Abendteuer ausrüste, dass ich nicht einmal kenne. Es wird mir klar, dass ich alle meine vertrauten Menschen verlasse, meine wunderschöne Umgebung verlasse, meine Halt gebende Routine verlasse …ich verlasse einfach ALLES und ALLE und begebe mich ins Ungewisse… ein paar Gehirnzellen aus dem Steinzeitalter in meinem Kopf brüllen mir zu, dass dies eine hochgradig beschissene Idee war und dass ich ohne Schutz und soziale Zugehörigkeit von dieser Reise möglicherweise nie wieder lebend zurückkehren werde! Nun ja, Angst hat nicht immer etwas mit der Realität zu tun… das macht sie aber leider nicht weniger angsteinflössend.
Dankbarkeit
In überbordender Fülle habe ich in den letzten 24 Stunde bis zur jetzigen Sekunde vor allem aber eines gefühlt: Dankbarkeit. Dankbarkeit ist wie ein rosarotfarbener Fliederduft, der alles durchdringt mit seinem seidig duftenden Geruch und dich einhüllt in eine Wolke aus Leichtigkeit und Reinheit. Dankbarkeit fühlt sich an, wie eine Mischung aus Tränen vor Glück und Staunen über so viele gute Fügungen im Leben und der Gewissheit, dass dies nicht selbstverständlich ist. Sondern ein exklusives Geschenk vom Universum an Dich.
Kennt ihr Marmeladenglasmomente?
Ich sammle gerne Marmeladenglasmomente. Das sind Momente, die so schön sind, dass ich sie nicht mehr vergessen möchte und daher in ein durchsichtiges imaginäres Marmeladenglas stecke und darin für die Ewigkeit konserviere. Dann kann ich sie mir jederzeit wieder aus dem Regal nehmen und ansehen und mich an ihrer Schönheit erfreuen. Innerhalb der letzten 24 Stunden habe ich jede Menge Marmeladenglasmomente gesammelt.
Ich gebe euch ein Beispiel: Ich sitze im Flugzeug in Zürich auf der Startbahn und wir warten auf den Start. Auf dem Bildschirm auf dem Sitz vor mir laufen Reklamespots über Uhren und Parfüms. Ich möchte sie mir nicht anschauen, bin nicht in der Stimmung und schliesse die Augen. Als ich die Augen wieder öffne, flimmert gerade folgender Satz über den Bildschirm:
«Jede Reise ist eine Herausforderung und ein Schritt aus der Komfortzone. Wofür sich der Schritt lohnt, das sind die unvergesslichen Momente (Swiss Air).»
Mein Sitznachbar, ein Inder aus Mumbai, mit dem ich zuvor kurz ins Gespräch gekommen war und der über meine Reisemotivation informiert ist, stupst mich an und sagt: «This message was for You.» Ganz genau DAS ist ein Marmeladenglasmoment. Das Universum winkt Dir ins Gesicht und ruft dir sanft zu, dass es Dich liebt und mit ganzem Herzen unterstützt.
Welche Gefühle hast du in den letzten 24 Stunden erlebt? Nimm dir eine Minute Zeit für einen Rückblick in deinem Leben und überlege dir, welche Situationen Du erlebt hast und mit welchem Gefühl Du sie wahrgenommen hast. Das schult deine Selbstwahrnehmung und erlaubt dir, deinen Gefühlsreichtum besser kennen zu lernen und wertzuschätzen. Alle deine Gefühle sind wertvoll, genauso wie Du!
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